WARTEN


Puenktlichkeit wird in Deutschland etwas groeßer geschrieben als in Kamerun. Verbluefft beobachte ich mit welcher Gelassenheit die Menschen warten. Was sind denn schon fuenf Minuten, zehn Minuten, zwei Stunden?

Heute steht auf meinem Terminkalender eine besondere Veranstaltung: Mit meinem Kollegen, Fabrice, besuche ich das jaehrliche Meeting der Regierungsvertreter mit den privaten Ausbildern aus Littoral.
8.05 Uhr: Mein Wecker klingelt. Ich nehme mir heute nicht so viel Zeit zum Fertigmachen, konnte dafuer ein bisschen laenger schlafen. Das klappt schon.
8.58 Uhr: Es hat nicht geklappt. Ich komme viel zu spaet aus der Dusche raus. In zwei Minuten muss ich da sein.
9.00 Uhr: Ohne Fruehstueck und mit offenen Schuhen verlasse ich das Haus.
9.05 Uhr: Ich stehe vor dem Gebaeude und versuche Fabrice zu finden. Ich kann ihn nicht erreichen.
9.10 Uhr: Endlich. Ich sehe ihn. Wir muessen uns doch beeilen. Es ist ja eine wichtige Veranstaltung. "Hast du gut geschlafen?", fragt er mich. Nach einem kurzen Austausch ueber Belangloses schlaegt er vor: "Wollen wir schonmal reingehen?"  Schonmal!?
9.15 Uhr: Wir treten ein. War klar. Die Veranstaltung hat noch nicht begonnen. Ich frage mich, ob die vielen Teilnehmer wirklich noch nicht da sind, oder ob einfach ueppig bestuhlt wurde.
9.17 Uhr: Ich stelle fest, dass die vielen Teilnehmer wirklich noch nicht da sind. Nach und nach trudeln sie ein.
9.18 Uhr: Wenn die Regierungsvertreter wirklich erst mit einer Verspaetung von 30 Minuten ankommen, waere das schon krass.
9.30 Uhr: Es ist krass. Sie sind tatsaechlich noch nicht da. Ich schaue auf meine Handyuhr. Meine Armbanduhr habe ich im Stress zuhause vergessen, weil ich ja rechtzeitig da sein wollte...
9.32 Uhr: Stromausfall. Licht aus. Ventilatoren aus. Musik aus. Ich bin total irritiert. Die Kameruner zeigen keine Reaktion.
9.34 Uhr: Mein Magen knurrt laut. Ohne Fruehstueck aus dem Haus zu gehen, war ganz schoen bloed. Haette ich doch gewusst, dass ich mir Zeit haette lassen koennen.
9.47 Uhr: Strom laeuft wieder.
9.55 Uhr: Ich lese mir den geplanten Tagesablauf durch. Fuer 10 Uhr ist eine Pause geplant. Da haette ich schnell nachhause gehen koennen, um noch was zu essen. Aber das verschiebt sich dann wohl auch... Ich ueberlege, ob ich schnell nachhause gehen kann, um noch was zu essen, bezweifle aber, dass die Veranstaltung mit ueber einer Stunde Verspaetung beginnen wird und entscheide mich deshalb zu bleiben.
10.03 Uhr: Die Veranstaltung wird tatsaechlich mit ueber einer Stunde Verspaetung beginnen. Ich haette locker schnell nachhause gehen koennen.
10.16 Uhr: Nochmal Stromausfall.
10.18 Uhr: Mir ist langweilig, also versuche ich die Afrikakarte auswendig zu lernen, die auf dem Notizheft meines Sitznachbers abgedruckt ist. Ich starte mit Tunesien, Algerien, Marokko. Tunesien, Algerien, Marokko. Tunesien, Algerien...
10.26 Uhr: Strom laeuft wieder.
10.30 Uhr: Eine Frau tritt ans Rednerpult. Die Veranstaltung geht also los? Nein. Sie entschuldigt sich nur fuer die Verzoegerung und das Warten geht weiter.
10.32 Uhr: Ich beobachte eine Frau, die auch puenktlich um 9 Uhr da war. Gelassen blaettert sie durch ihre Unterlagen, als haette sie keine Sekunde verloren.
10.47 Uhr: Jetzt die Nachbarlaender von Kamerun lernen: Nigeria, Tschad, Zentralafrikanische Republik...
11.08 Uhr: Endlich! Der Msr Regierungsvertreter ist eingetroffen. Die Veranstaltung kann starten. "Bitte stehen sie auf." Fuer den Typen, der mich zwei Stunden hungrig hat warten lassen? Ernsthaft?
11.09 Uhr: Die Hymne wird gesungen. Ich gehe davon aus, dass es danach endlich los geht. Fehlanzeige. Nach einer zweiminuetigen Ansprache des Herrn-Ich-Lass-Auf-Mich-Warten sollen sich alle draußen fuer ein Gruppenfoto einfinden.
11.17 Uhr: Wir sitzen wieder auf unseren Plaetzen. Die werden die Pause mit Sicherheit ausfallen lassen aufgrund der großen Zeitverzoegerung, denke ich mir.
11.25 Uhr: Pause, sagt Fabrice, als ich ihn frage, warum nichts passiert. Die bereiten das Essen vor. Ich bin nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden habe.
11.40 Uhr: Ich habe ihn richtig verstanden. Die erste Reihe wird gebeten, sich im Hinterzimmer essen zu nehmen. Die anderen warten. Zehn Minuten spaeter Reihe Zwei. Dann Reihe Drei...
12.00 Uhr: Wir sind dran! Ich greife zu: Croissant, Pfannkuchen, Kaffee. Endlich was zu essen!
12.15 Uhr: Leider ist die Veranstaltung fuer mich vorbei. Um 12.30 Uhr muss ich zum naechsten Termin. Ich verabschiede mich von Fabrice und gehe direkt vom Essensraum zum Ausgang. Ob der Tag noch aufregender werden kann?