WENIGSTENS HABEN SIE EINE FUNKTIONIERENDE WIRTSCHAFT

Der Besitz von Geld zieht große Kreise. An einem besinnlichen Abend schmeißen Margarete und ich uns in ein utopisches Gedankenspiel: Was waere, wenn nicht die Wirtschaft über den Erfolg eines Landes bestimmen wuerde, sondern andere Faktoren in den Mittelpunkt ruecken?

"Die Armen", wuerde ein Kameruner sagen. "Die sind immer so gestresst und leiden total unter Leistungsdruck. Es gibt Menschen dort, die aufgrund der schrecklichen Bedingungen nicht in der Lage sind ihrer Familie Zuneigung zu zeigen. Die Alten werden in riesigen Haeusern konzentriert, anstatt dass die Liebsten sich um sie kuemmern. Die Muetter schicken ihre Kinder teilweise kurz nach der Geburt zur Fremdbetreuung, weil sie lieber Zeit an ihrem Arbeitsplatz verbringen wollen. Wenn ein Gast kommt, weigern sie sich ihr Bett zu teilen. Sie ekeln sich vor ganz normalen Dingen, wie dem natuerlichen Boden oder einem fremden Tier. Sie gehen nicht in die Kirche. Manche haben ueberhaupt keine eigene Glaubensidentitaet mehr. Und, ich hab mal gehoert, dass richtig viele von denen einfach nicht wissen, dass man seinem Kollegen Essen anbietet, wenn man sich etwas zubereitet hat. Wirklich! Fuer die ist es unvorstellbar einen Teller zu teilen. All diese Bedingungen rauben ihnen die Moeglichkeit das zu erreichen, was wirklich wichtig ist: Ein gesundes soziales Umfeld.
Und dann sind sie auch noch mit uns konfrontiert, den erfolgreichen Kamerunern, die ein glueckliches Familienleben haben, denen es gelingt einen festen Freundeskreis zu pflegen und die ueber sich selbst lachen koennen. Das setzt die doch total unter Druck. Wir sind einfach eine zu starke Konkurrenz und die Globalisierung und die Sozialen Medien haben alles verschlimmert.
Wieso findet dort denn keine tiefgreifende Aufklaerung ueber diese Themen statt, sodass es mal Veraenderung gibt? Wahrscheinlich fehlt es an Kapazitaet und Kompetenz. Die Initiative unserer Regierung ist da gefragt. Seit Jahren schieben sie das Thema unter den Tisch. Ich meine, es ist offensichtlich, dass den Deutschen und anderen Laendern des globalen Nordens so viel Glueck verwehrt bleibt. Und alle schauen einfach weg und tun so, als haetten sie nichts damit zu tun. Die Welt ist so ungerecht. Wir koennen doch nicht verantworten, hier unser glueckliches Leben zu fuehren, waehrend die Menschen dort oben Tag fuer Tag leiden? Die politischen Verantwortlichen muessten eigentlich immer mit einem schlechten Gewissen einschlafen. 
Wenn man denen nur irgendwie helfen koennte… Aber dass Problem ist so tiefgreifend, es ist wahrscheinlich unmoeglich das zu loesen. Vor allem so von außen. Ich frage mich oft, was ich als Afrikaner tun kann, um dort etwas zu veraendern, aber ich glaube, da muss was im Land passieren.
Vielleicht ist der erste wichtige Schritt, dass das Problem global thematisiert wird und auf den Straßen der Welt  - vor allem bei uns, in den privilegierten Laendern, - sich ein Bewusstsein entwickelt. Die Menschen hier in Kamerun muessen dankbar sein, dass sie in einem erfolgreichen Land geboren sind. Die Wenigsten haben dieses Glueck.
Aber vielleicht haben wir gar nicht das Recht zu urteilen? Immerhin gestalten sie ihr Leben ihrer Geschichte und ihren Traditionen entsprechend. Es ist in der deutschen Kultur einfach tief verankert, dass man nicht so viel Wert auf Zwischenmenschlichkeit legt, wie bei uns. Schon immer sind die Menschen dort verzweigt in das brutale leistungs- und konsumorientierte Netzwerk des Kapitalismus. Sie werden sich nicht so einfach daraus befreien koennen."
"Wenigstens haben die Deutschen eine funktionierende Wirtschaft", wuerde ein anderer Kameruner erwidern.
"Ha!", bekommt er entgegen gehalten. "Was bringt die funktionierende Wirtschaft, wenn man dafuer kein Erfolge feiern kann, weil man eingespannt ist in ein Spießertum, was einem von Kindheit an aufgezwungen wurde?"